Beten und Meditieren
mit Madeleine Delbrêl
Madeleine Delbrêl (1994-1964) fand als überzeugte Atheistin im Alten von 20 Jahren zum Glauben an Gott. Sie wurde von IHM „ergriffen“. Daraufhin ging sie ganz bewusst in das völlig säkularisierte Umfeld der Pariser Arbeitervorstadt Ivry, um dort in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten durch die gelebte Liebe Gott einen Ort zu „sichern“. Denn sie war überzeugt: Dort, wo man glaubt und liebt, entsteht eine „Insel göttlicher Anwesenheit.“
Geht in euren Tag hinaus
ohne vorgefasste Ideen,
ohne die Erwartung von Müdigkeit,
ohne Plan von Gott,
ohne Bescheidwissen über ihn,
ohne Enthusiasmus,
ohne Bibliothek –
geht so auf die Begegnung mit ihm zu.
Brecht auf ohne Landkarte –
und wisst, dass Gott unterwegs
zu finden ist,
und nicht erst am Ziel.
Versucht nicht,
ihn nach Originalrezepten zu finden,
sondern lasst euch von ihm finden
in der Armut eines banalen Lebens.
Gebet in einem weltlichen Leben, 31f. [zit. n. Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, hrsg. von Annette Schleinzer, Kevelaer 2007, 38]
Herr,
lass uns unser Leben leben,
weder wie ein Schachspiel, wo alles gerechnet wird,
noch wie ein Match, wo alles schwierig ist,
noch wie ein Theorem, das unseren Kopf zerbricht,
sondern wie ein unendliches Fest
wo sich dein Begegnen erneuert,
wie ein Ball,
wie ein Tanz,
in den Armen deiner Gnade,
in der universalem Musik der Liebe.
Herr, komm, uns einzuladen.
Wir Nachbarn der Kommunisten, 67-69 [zit. n. Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, hrsg. von Annette Schleinzer, Kevelaer 2007, 78]
Unser ganzes Leben ist dazu bestimmt zu lodern und zu wärmen. Überall, wo die Liebe Eingang findet, verwandelt sie unser Leben in Brennstoff.
Aber wenn Gott der brennende Dornbusch ist, der lodert ohne sich zu verzehren, so sind wir jedenfalls schnell aufgezehrt, falls wir aufhören, den Glauben zu erbitten, für ihn bereit zu sein, ihn zu empfangen; kurz, wenn wir aufhören, aktiv mit dem Leben des lebendigen Gottes in Verbindung zu bleiben. Der Glaube will unterhalten sein wie ein Feuer.
Gebet in einem weltlichen Leben, 81f. [zit. n. Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, hrsg. von Annette Schleinzer, Kevelaer 2007, 53f.]
Die ganze Kirchengeschichte hindurch gibt es so etwas wie „Landstreicher“, die immer unterwegs sind auf den Straßen, die den Weg Christi eingeschlagen haben, nicht um etwas Bestimmtes zu tun oder etwas von A bis Z zu erledigen, sondern um den ganzen Weg entlang die Gebärden Christi zu vollziehen.
Sie erwarten von Gott die kleinen Gelegenheiten und Ereignisse, bei denen sie stets im Dienst der „Frohen Botschaft“ sind. Einer frohen Botschaft, die sinnlich greifbar wird durch die Güte Christi, durch ihre Ausdrucksformen; einer frohen Botschaft, die man berührt hat, wie Johannes sagt, die man angefasst hat, weil sie durch menschliche Gebärden vermittelt wurde. Gebärden von Menschen, die sich ihre Begegnungen nicht aussuchen, die nicht selbst wählen, wohin sie gehen sollen, die annehmen, was Gott ihnen schickt: was und wen. Menschen, die versuchen, unaufhörlich versuchen, für jeden und jede das zu sein, was Christus gewesen ist.
Frei für Gott. Über Laiengemeinschaften in der Welt, 71 [zit. n. Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, hrsg. von Annette Schleinzer, Kevelaer 2007, 87f.]
Gott,
für uns spielt das Abenteuer deiner Gnade
in einer Zeit, die fast aus der Bahn gerät
in ihrem Drang nach Freiheit.
Uns willst du keine Landkarte geben.
Unser Weg führt durch die Nacht.
Wohin wir zu gehen haben,
erhellt sich Stück für Stück
wie durch die Lampe eines Signals.
Oft ist das einzige, was sich sicher einstellt,
eine regelmäßige Müdigkeit aufgrund
derselben Arbeit, die jeden Tag zu tun ist,
desselben Haushalts, der wieder zu bewältigen ist,
derselben Fehler, die wir bekämpfen,
derselben Dummheiten, die wir unterlassen wollen.
Aber außerhalb dieser Gewissheit
ist alles Übrige deiner Phantasie überlassen, o Gott,
die es sich bei uns gemütlich macht.
Der kleine Mönch. Ein geistliches Notizbüchlein, 76f. [zit. n. Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte-Gedichte-Gebete, hrsg. von Annette Schleinzer, Kevelaer 2007, 164]
„Das Evangelium ist das Buch des Lebens des Herrn und ist da, um das Buch
unseres Lebens zu werden.
Es ist nicht da, um verstanden, sondern um wie eine Schwelle zum Geheimnis
angenähert zu werden.
Es ist nicht da, um gelesen, sondern um in uns aufgenommen zu werden...
Die Worte der menschlichen Bücher werden verstanden und geistig erwogen. Die Worte des Evangeliums werden erlitten und ausgehalten.
Wir verarbeiten die Worte der Bücher in uns, die Worte des Evangeliums
durchwalken uns, verändern uns, bis sie uns gleichsam in sich einverleiben.
Die Worte des Evangeliums sind wundertätig. Sie verwandeln uns nur deshalb nicht, weil wir die Wandlung nicht von ihnen begehren.
Aber in jedem Ausdruck Jesu, in jedem seiner Beispiele wohnt eine überwältigende Kraft, die damals heilte, reinigte, auferweckte,
falls einer ihm gegenüber stand wie der Gelähmte oder der Hauptmann,
bereit, unverzüglich im vollen Gehorsam zu handeln.
Wenn wir das Evangelium hören und in Händen halten, sollten wir bedenken,
dass das Wort darin wohnt, das in uns Fleisch werden will,
das uns ergreifen möchte, damit wir … an einem neuen Ort,
zu einer neuen Zeit, in einer neuen menschlichen Umgebung
sein Leben aufs Neue beginnen.“
in: Madeleine Delbrêl: Gebet in einem weltlichen Leben, S. 17f.
Dreifaltiger Gott!
Du bist Liebe.
Du hast uns aus Liebe erschaffen
und zur Liebe bestimmt.
Wir danken dir,
dass du uns immer wieder
deine zuvorkommende Liebe schenkst.
Wir bitten dich:
Gib uns, dass wir sie annehmen
und daraus leben können,
dass wir uns ergreifen lassen
von der Liebe zu dir,
dass wir uns neu begeistern lassen für dich.
Mach uns zu Zeugen und Boten deiner Liebe,
da, wo wir leben,
mitten im Alltag, zu Hause, im Beruf,
unter Menschen, die wir kennen,
die uns nahestehen,
die uns in irgendeiner Weise
zu „Nächsten“ werden.
Vater, gib uns dazu deinen Heiligen Geist
durch Jesus Christus, unseren Herrn.